Oliver Weyhmüller
12. August 2019

Wenn das ganze Leben auf einer Lüge basiert

Gepostet am 12. August 2019  (Zuletzt geändert am 25. November 2021 )
4 Minuten  • 682 Wörter

Dir ist vielleicht aufgefallen, dass wir nicht so viel gemeinsam haben

So begann das gestrige Gespräch, an dessen Ende ich nun alles anzweifeln muss, was in den 36 Jahren meines Lebens bislang als gesichert galt.

Anschließend offenbarte mir der Mann, den ich bis dato als meinen Vater kannte, dass er das gar nicht sei. In den Jahren bis 1982 wäre es ihm stressbedingt unmöglich gewesen selbst ein Kind zu zeugen, weswegen der Frauenarzt meiner Mutter dann zur Erfüllung ihres Kinderwunsches den Kontakt zu einer Praxis in Bad Pyrmont herstellte, in der meine Mutter im Frühsommer 1982 dann mit dem Sperma eines anonymen Spenders befruchtet wurde (Donogene Insemination).

Das sei alles damals zwar nicht verboten, aber auch nicht wirklich legal gewesen

meinte er weiter, deswegen hätte es nur wenige Praxen gegeben, wo das möglich war. Später - irgendwann so um das Jahr 2004 - wäre er nochmals in Bad Pyrmont gewesen, die Praxis hätte es dann nicht mehr gegeben und Nachbarn hätten ihm berichtet, dass diese quasi über Nacht geschlossen und alles Inventar mit Lastwagen abtransportiert wurde.

Unterlagen darüber gibt es keine mehr, deine Mutter hatte Angst, dass du diese entdecken könntest und so haben wir diese im Kessel des Holzkohlegrills verbrannt.

Irgendwann hätten meine Mutter und er dann aber erkannt, dass sie das nicht ewig geheim halten können und es irgendwann heraus käme. Dann habe sich meine Mutter vorgenommen mich darüber aufzuklären, es aber immer wieder hinausgeschoben. Vor drei Jahren, als ich schwer erkrankt war, und das hätte passieren können, war es dann fast soweit. Sie haben dann aber doch nur meine behandelnden Ärzte darüber informiert, mich selbst jedoch immer noch nicht.

Er wollte mir das nun aber sagen, bevor es irgendwann dann doch zum falschen Zeitpunkt herauskommen würde. Überhaupt hatte ich gestern das Gefühl, dass er dafür auch noch Bestätigung erfahren wolle, weil er ja nun doch so ehrlich zu mir ist. Meine Mutter ist vor drei Monaten überraschend gestorben. Ihre Version der Geschichte werde ich also nie erfahren.

Was ich aber in der Zeit seit gestern ergoogelt habe, zeigt mir, dass das so nicht die ganze Wahrheit sein kann und wirft für mich einen Berg an Fragen auf, von denen ich einige nachfolgend aufführe:

Irgendwie ist diese ganze Geschichte stark auf meine Mutter fixiert. Bald in jedem zweiten Satz hieß es “deine Mutter wollte …” oder ähnliches. Seine Position kam überhaupt nicht zur Sprache. Und meine Mutter war nie diejenige, die ihren Willen durchsetzte sondern immer darauf bedacht, es möglichst allen recht zu machen.

Immerhin: Als ich dann geboren war, war es mit dem Stress vorbei. Mein (Halb-) Bruder ist ein Jahr jünger als ich und sein leibliches Kind.

Wenn ich das alles berücksichtige, dann kann ich das gar nicht anders bewerten, als dass er nie die Absicht hatte, mich darüber aufzuklären und sogar alles in seiner Macht stehende getan hat, um es mir unmöglich zu machen, die Wahrheit eines Tages herauszubekommen. Ich kann mir einen größeren Vertrauensbruch gar nicht vorstellen.

Warum ich das jetzt nicht einfach so akzeptiere und weitermache, als sei nichts gewesen, versteht er nicht.

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